Der Alltag in einer Montessori-Schule

An mehreren kleinen Tischen sitzen etwa 25 Kinder zwischen 5 und 9 Jahren, die allein oder in kleinen Gruppen mit den verschiedensten Montessori-Materialien arbeiten. Ein Kind hat einen Sprachkasten vor sich und schreibt eifrig Wörter und kleine Sätze. Zwei Kinder sind konzentriert über eine Landkarte gebeugt. Eine andere Gruppe macht Versuche mit Magneten. Ein weiteres Kind sitzt in ein Buch vertieft in der Leseecke. Man hört leises Sprechen und sieht einzelne Kinder herumgehen, um sich aus den Regalen neues Material zu holen oder an anderen Tischen zuzuschauen oder mitzumachen. Die Lehrerin beantwortet Fragen, erklärt Materialien oder greift bei Bedarf helfend ein. Eine utopische Situation oder eine mögliche Unterrichtsform für ihr Kind?

Die Montessori-Praxis am Hauptstandort Falkenstraße

Das Montessori-Konzept des Hauptstandortes Falkenstraße ist an die Bildungsziele, Inhalte und Methoden für die einzelnen Jahrgangsstufen gebunden, die in den Richtlinien vorgegebenen sind. Um einerseits die positiven Elemente der Montessori-Pädagogik zu nutzen, andererseits aber auch die Schüler auf den späteren Besuch einer Regelschule vorzubereiten, gibt es ein eigenständiges Konzept. Dieses Konzept ist in langjähriger Praxis gewachsen und wird ständig weiter entwickelt.

An der GGS-Erkrath gibt es am Hauptstandort Falkenstraße sechs Klassen in denen die Jahrgänge 1 bis 3 zusammengefasst sind. Der 4. Jahrgang besteht aus zwei Parallelklassen.

Die Freiarbeit wird ergänzt durch Fachunterricht in Mathematik, Englisch, Sport, Musik, Kunst und Religion, der jahrgangsweise durchgeführt wird. Circa 13 Stunden Freiarbeit ergänzen die 6 bis 10 Stunden Fachunterricht. Beide Unterrichtsformen sind eng miteinander verbunden. Auch in der Freiarbeit werden in „Lerninfos“ Inhalte der verschiedenen Fächer den Richtlinien entsprechend jahrgangsweise unterrichtet und durch Lernzielkontrollen überprüft. Hausaufgaben dienen der Anwendung und Vertiefung der vermittelten Kenntnisse oder auch der Vorbereitung neuer Themen.

Die Montessori-Pädagogik

Maria Montessori (1870-1952), die als erste Frau in Italien Medizin studiert hatte, traf als Ärztin an einer psychiatrischen Klinik auf apathische Kinder in Räumen ohne Betätigungsmöglichkeiten. Sie befasste sich daraufhin mit der pädagogischen Förderung geistig behinderter Kinder. Durch Einsatz didaktischen Materials hatte sie enorme Erfolge: Einzelne Sonderschulkinder hielten bei öffentlichen Prüfungen mit normalen Kindern mit. Grundlage ihrer Arbeit war die Einsicht, dass jedes Kind ein Grundbedürfnis nach Aktivität und Selbsttätigkeit sowie nach einer anregenden Erfahrungsumwelt hat. Diese Einsicht und ihre Erfahrungen führten Montessori dazu, das damals übliche Erziehungssystem in Frage zu stellen. Ab 1901 widmete sie sich allgemein der Erziehung von Kindern.

An Vorschulkindern machte sie dann eine besondere Beobachtung: Ein Kind kann sehr konzentriert und ausdauernd einer Tätigkeit nachgehen, gleichsam der Welt entrückt. Wenn es diese Konzentration von sich aus beendet, ist es ausgeruht und freudig. Montessori nannte dies die „Polarisation der Aufmerksamkeit“. Sie betrachtete diese Konzentrationsphasen als grundlegend für die Entwicklung des Kindes und erforschte Voraussetzungen für ihr Auftreten:
• die freie Wahl der Beschäftigung,
• das gleichzeitige Ansprechen von Körper und Geist,
• die Einbeziehung des Bewegungsbedürfnisses,
• eine „vorbereitete Umgebung“.

Eine weitere Erkenntnis erlangte Montessori durch die Beobachtung der Kinder bei ihren selbstgewählten Beschäftigungen: In der Entwicklung des Kindes gibt es „sensible Phasen“ besonderer Lernfähigkeit und starker Interessen für bestimmte Bereiche. Die Kinder erwerben dann bestimmte Fähigkeiten und erlernen Verhaltensweisen unbewusst, ohne großen Aufwand an Willenskraft, Verstand und Anstrengung. Montessori nannte diese Fähigkeit den „absorbierenden Geist“. Für eine optimale Förderung der Entwicklung des Kindes müssen diese Phasen berücksichtigt werden.

Das Erziehungsprinzip der Montessori-Pädagogik fußt also in der Auffassung, dass das Kind unabhängig von Alter und Begabung mit einem aktiven Geist ausgestattet und auf Selbstverwirklichung und Selbstbildung angelegt ist. Aufgabe des Erziehers ist es demnach nicht zu bilden, sondern die Selbstbildung zu ermöglichen. Als Leitsatz gilt der Ausspruch eines Kindes:
„Hilf mir, es selbst zu tun“.

Die Montessori – Lehrkräfte

Die Lehrerinnen und Lehrer an Montessori-Schulen verstehen sich also vor allem als Helfer, die das Bedürfnis der Kinder nach Selbständigkeit durch intensives Beobachten und helfendes Eingreifen unterstützen. Die Lehrkraft gibt Anregungen, indem sie Materialien anbietet und einführt. Sie fördert soziales Verhalten. Nicht zuletzt ist sie natürlich Autorität, die den Kindern Orientierung gibt. Montessori-Lehrkräfte absolvieren eine zusätzliche zweijährige Ausbildung, um das Montessori-Diplom zu erwerben.

Die „vorbereitete Umgebung“

Der Klassenraum soll eine Umgebung sein, die der freien Entwicklung der Kinder förderlich ist. Dazu gehören nach Montessori u.a.:
• Möglichkeiten zur Absonderung einzelner Kinder oder kleiner Gruppen,
• ästhetische Ausstattung,
• offene Regale mit den didaktischen Materialien.
Die Kinder sollen in einem natürlichen sozialen Gefüge lernen. Darum forderte Montessori altersgemischte Gruppen. Diese bereichern nicht nur den sozialen Umgang. Kleine Kinder lernen auch gut von größeren Kindern und sehen, „wohin die Reise geht“. Die Größeren wiederum vertiefen ihre Kenntnisse enorm, wenn sie Kleineren etwas erklären. Wegen der großen Bandbreite in der Entwicklung lassen sich leistungsschwache oder besonders begabte Kinder in einer altersgemischten Klasse besser fördern, ohne die Klasse wechseln zu müssen.
Zur Arbeit in Montessori-Klassen gibt es ein spezielles System didaktischen Materials, mit dessen Hilfe die Kinder Lerninhalte aktiv entdecken können.

Das Montessori-Material

Nach Montessori soll Arbeitsmaterial
• dem kindlichen Geist erreichbar sein, sich durch Einfachheit auszeichnen und die Aufmerksamkeit fesseln,
• sich den Bedürfnissen des Kindes wie eine Leiter darbieten, die ihm Stufe für Stufe bei seinem Aufstieg behilflich ist,
• jeweils ein Merkmal eines Lerngegenstandes isolieren, so dass sich das Interesse des Kindes speziell darauf richten kann,
• die Fehlerkontrolle durch das Kind selbst ermöglichen,
• in seiner Menge begrenzt sein (was die Verschiedenheit der Materialien und was die Anzahl jedes Einzelmaterials betrifft).
• Das konkrete Einzelmaterial soll sich als Teil eines umfassenden Ganzen darstellen.
Für nähere Informationen sei auf die Literatur und die Informationsabende des Montessori-Vereins verwiesen.

Die „Freiarbeit“

Die Selbstbildung des Kindes steht also im Vordergrund. Es soll ihm möglich sein, seine Beschäftigung im Rahmen des Lehrplans frei zu wählen. Dies schließt eine individuell bemessene Arbeitsdauer und die freie Wahl der Arbeitspartner ein.
Dann muß die Planung des Unterrichts aber weniger in einem einheitlichen Programm für die Klasse bestehen, sondern mehr in individuellen Zielvorgaben für die einzelnen Kinder. Außerdem sollte es größere Zeitabschnitte statt der üblichen Stundenfolge geben. Und es müssen im Unterricht Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die offene Unterrichtsform, die dies erfüllt, wird „Freiarbeit“ genannt. Sie bietet durch den vielfältigen, natürlichen Umgang mit Mitschülern und Lehrern fortwährend Gelegenheit zu sozialem Lernen. Sie führt durch die freie Entscheidung zu einer von innen kommenden Disziplin. Einen Eindruck vermittelt der Abschnitt über den Alltag in einer Montessori-Schule.

Literatur-Empfehlungen

B. Esser und Ch. Wilde:
Montessori-Schulen
(über Grundlagen und Praxis, Tb)
Maria Montessori:
Grundlagen meiner Pädagogik
(Aufsätze)
Ch. Fisgus und G. Kraft:
„Hilf mir, es selbst zu tun“ und
„Morgen wird es wieder schön“
(über Montessori-Materialien)
Ingrid Fähmel:
Zur Struktur schulischen Unterrichts nach Maria Montessori
(Studie über eine Montessori-Schule)